Vermögen und Schulden verrechnen

  • Hallo zusammen,

    ich habe hier einen Antragsteller der teilweise sehr unübersichtliche Vermögensverhältnisse hat.
    Er hat mir jetzt einen Finanzstatus vom 01.06 bis 30.06 vorgelegt.
    Aus diesem ergibt sich, dass er auf seinem Girokonto nicht unerheblich im Minus ist. Er ist aber auch Inhaber von diversen Wertpapieren mit einem aktuellen Wert von insgesamt über 5.000,- € sowie einem Sparbuch (unbeachtliches Guthaben).
    Würde man die gesamten Vermögenswerte und Schuldner verrechnen, ergibt sich ein Betrag, der noch unter der Schonvermögensgrenze liegt.

    Meine Kollegin und ich fragen uns jetzt aber gerade, ob man die einzelnen Werte überhaupt gegeneinander aufrechnen muss.

    Ich habe jetzt auf Anhieb nirgendwo etwas dazu gefunden und wollte mal nachfragen, wie ihr das denn handhabt.

    Theoretisch könnte der Antragsteller ja auch die Wertpapiere verwerten und davon erst einmal den Anwalt zahlen.
    Ich bin mir ehrlich gesagt unsicher, ob das ihm überhaupt zuzumuten ist bzw. ob es ihm dann nicht eher zusteht zunächst sein Girokonto zu decken.

    Über Denkanstöße würde ich mich freuen :)

  • Ob er mit dem Vermögen aus den Wertpapieren erst mal sein Giro ins Reine bringen sollte, haben wir nicht zu prüfen. Entscheidend ist, dass er über Vermögen verfügt, das die Schonbetragsgrenze übersteigt. Damit hat er grundsätzlich keinen Anspruch auf Beratungshilfe. Warum er die Wertpapiere nicht einsetzen können soll, musst nicht du ergründen, sondern er müsste dir das vortragen und darlegen.

  • KÖNNTE sein, dass es irgendwelche Abreden mit der Kontoführenden und Wertpapierdepotverwaltenden Bank gibt, die bewirken, dass er die Wertpapiere/den Erlös zur Ausgleichung des Kontos verwenden muss

    aber das ist noch lange nicht gesetzt!
    insofern: wie Tinamaria

    Ich kaufe ein "I" und möchte lösen! -BOCKWURST-


    Wenn ich sterbe, sollen meine Überreste in Disneyland verstreut werden.
    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Nach Durchstöbern der entsprechenden gesetzliichen Vorschriften zum Schonbetrag muss man feststellen, dass nirgends von Verbindlichkeiten die Rede ist, sondern immer nur von Vermögen. Daher scheint damit wohl das Aktivvermögen gemeint zu sein.

  • Anders das BAG, Beschluss vom 22.12.2003 - 2 AzB 23/03:


    "Die arme Partei hat aber ihr Vermögen nur insoweit einzusetzen, als es ihr zumutbar ist (§ 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Ob ein einzusetzendes Vermögen vorhanden ist, muss – wie auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Möglichkeiten nach §§ 114, 115 ZPO – durch eine Gegenüberstellung der Plus- und Minuspositionen errechnet werden. Wenn beispielsweise jemand 10.000,00 Euro Schulden hat und 5.000,00 Euro erhält, so hat er nach wie vor 5.000,00 Euro Schulden und keinerlei nach § 120 Abs. 4 ZPO heranziehbare Vermögenswerte. Übersteigen somit die Schulden einer Partei ihre verwertbaren Vermögenswerte so braucht sie – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – ihr Geld grundsätzlich nicht zur Zahlung der Prozesskosten zu verwenden (OLG Bamberg 16. November 1992 – 7 WF 182/92JurBüro 1993, 232, 233; LAG Köln 30. Januar 2002 – 7 Ta 220/01 – LAGE ZPO § 115 Nr. 58; Zöller/Philippi ZPO 23. Aufl. § 115 Nr. 47). Es kommt nicht darauf an, aus welchem Grund die Schulden entstanden sind (Zöller/Philippi aaO § 115 Rn. 47). Eine andere Betrachtung würde gerade, wie der vorliegende Fall zeigt, zur Annahme eines rein fiktiven, in Wahrheit nicht mehr vorhandenen Vermögens führen. Dies stünde mit dem Charakter der Prozesskostenhilfe als staatliche Sozialleistung der Daseinsfürsorge in Widerspruch."

    Dies ist auch unabhängig davon, ob und inwieweit die PKH Partei ihre Verbindlichkeiten bedient (LAG Mainz, B.v. 6.12.2004 - 4 Ta 269/04).

    Gruß
    DD

    -Vanitas vanitatum et omnia vanitas -



  • Und dürfte auch die einzig zutreffende Auffassung sein. Vermögen ist die positive Differenz zwischen Guthaben und Verbindlichkeiten. Die negative Differenz wäre eine Überschuldung. Schon begrifflich landet man daher nur nach Abzug der vorhandenen Verbindlichkeiten beim Begriff "Vermögen". Eine einzelne Aktivposition, wie z.B. ein positives Bankkonto, ein Hunderter im Geldbeutel o.ä. bildet daher zunächst nur einen positiven Rechnungsposten bei dieser Berechnung.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    2 Mal editiert, zuletzt von AndreasH (14. Juli 2016 um 22:58) aus folgendem Grund: Ergänzung

  • nur mal zum weiter darüber nachdenken: rechnet eigentlich die Arge bei der Bewilligung von ALG II genauso? Also, wenn jemand 8.000 EUR auf dem Konto hat und 20.000 EUR Schulden bekommt er dann wirklich ALG II ?

  • Und dürfte auch die einzig zutreffende Auffassung sein. Vermögen ist die positive Differenz zwischen Guthaben und Verbindlichkeiten. Die negative Differenz wäre eine Überschuldung. Schon begrifflich landet man daher nur nach Abzug der vorhandenen Verbindlichkeiten beim Begriff "Vermögen". Eine einzelne Aktivposition, wie z.B. ein positives Bankkonto, ein Hunderter im Geldbeutel o.ä. bildet daher zunächst nur einen positiven Rechnungsposten bei dieser Berechnung.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    Interessante Überlegungen. Wenn man diesen Gedanken aber konsequent weiter verfolgt, könnte bei praktisch niemandem, der einen Kredit bedient, jemals eine Einmalzahlung angesetzt werden. Ich denke da nicht unbedingt an ein überzogenes Girokonto, sondern an die in geordneten Verhältnissen lebende Partei, die einen Kredit für ihr Haus oder den Neuwagen laufen hat, aber trotzdem nebenbei für den nächsten Urlaub oder das nächste kaputte Haushaltsgerät spart. Ob das immer sinnvoll ist, steht ja auf einem anderen Blatt, aber wenn wir anfangen, von "Vermögen" erst auszugehen, wenn es die Restschuld für den Hauskredit übersteigt...? :gruebel:

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Und dürfte auch die einzig zutreffende Auffassung sein. Vermögen ist die positive Differenz zwischen Guthaben und Verbindlichkeiten. Die negative Differenz wäre eine Überschuldung. Schon begrifflich landet man daher nur nach Abzug der vorhandenen Verbindlichkeiten beim Begriff "Vermögen". Eine einzelne Aktivposition, wie z.B. ein positives Bankkonto, ein Hunderter im Geldbeutel o.ä. bildet daher zunächst nur einen positiven Rechnungsposten bei dieser Berechnung.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    Interessante Überlegungen. Wenn man diesen Gedanken aber konsequent weiter verfolgt, könnte bei praktisch niemandem, der einen Kredit bedient, jemals eine Einmalzahlung angesetzt werden. Ich denke da nicht unbedingt an ein überzogenes Girokonto, sondern an die in geordneten Verhältnissen lebende Partei, die einen Kredit für ihr Haus oder den Neuwagen laufen hat, aber trotzdem nebenbei für den nächsten Urlaub oder das nächste kaputte Haushaltsgerät spart. Ob das immer sinnvoll ist, steht ja auf einem anderen Blatt, aber wenn wir anfangen, von "Vermögen" erst auszugehen, wenn es die Restschuld für den Hauskredit übersteigt...? :gruebel:

    Hier muss man wohl Einschränkungen machen: Handelt es sich um eine nicht fällige Verbindlichkeit, die über einen langen Zeitraum abgetragen wird, dürfte diese wohl nicht als Abzugsposten zu berücksichtigen sein (der von mir oben zitierte Satz des LAG Mainz gilt also nicht uneingeschränkt). Auch das BAG arbeitet schließlich mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der "Zumutbarkeit".

    Vgl. z.B. zur Anrechnung fiktiven Einkommens bei vorzeitiger Schuldentilgung:

    "Als fiktives Vermögen hätte sie sich diesen Betrag nur dann weiterhin zurechnen lassen müssen, wenn sie ihre Leistungsunfähigkeit böswillig herbeigeführt hätte, beispielsweise durch Tilgung einer Verbindlichkeit, deren Begründung angesichts der zu erwartenden Belastung durch die beabsichtigte Rechtsverfolgung unangemessen war (vgl. Stein/Jonas/ Bork aaO Rdn. 88), oder auch durch Tilgung einer Verbindlichkeit weit vor deren Fälligkeit." (BGH, FamRZ 1999, 644)

    Gruß
    DD

    -Vanitas vanitatum et omnia vanitas -



  • Es kommt darauf an, wie alt der Ast. ist. Bei Alg II gelten wesentlich höhere Schonbeträge, gestaffelt nach dem Alter des Leistungsberechtigten - § 12 SGB II. Wieviele Schulden der Ast. hat, ist für das Jobcenter unbeachtlich.


    und bei der Grundsicherung vermutlich auch


    Hat eventuell jemand einen Kommentar zum § 90 SGB XII zur Hand und könnte dazu mal nachlesen?

  • jurisPK SGB XII zu § 90, Rn. 14 ff.:

    edit by Kai: Textübernahme aus Kommentar entfernt, siehe [h=3]Hinweise zum Zitatrecht[/h] Die Fn nach Satz 1 der obigen Kommentarstelle verweist auf BSG, Urteil vom 15.04.2008 (B 14/7b AS 52/06 R), darin heißt es beim Leitsatz Nr. 9:

    "Schulden bzw. Verbindlichkeiten können bei der Ermittlung des zu verwertenden Vermögens nach § 12 SGB 2 allenfalls berücksichtigt werden, wenn sie unmittelbar auf den Vermögensgegenständen lasten, da die Vermögensgegenstände dann nicht ohne Abzüge veräußert werden können."

  • jurisPK SGB XII zu § 90, Rn. 14 ff.:

    edit by Kai: Textübernahme aus Kommentar entfernt, siehe Hinweise zum Zitatrecht

    Die Fn nach Satz 1 der obigen Kommentarstelle verweist auf BSG, Urteil vom 15.04.2008 (B 14/7b AS 52/06 R), darin heißt es beim Leitsatz Nr. 9:

    "Schulden bzw. Verbindlichkeiten können bei der Ermittlung des zu verwertenden Vermögens nach § 12 SGB 2 allenfalls berücksichtigt werden, wenn sie unmittelbar auf den Vermögensgegenständen lasten, da die Vermögensgegenstände dann nicht ohne Abzüge veräußert werden können."


    Super! Die Ausführungen finde ich nachvollziehbar. Dann ist ja alles geklärt.

  • Ok, ich kapituliere.

    Sachlich halte ich das allerdings weiterhin für zweifelhaft. Wer einen aktiven Vermögensgegenstand dadurch anschafft, dass er in gleicher Höhe Verbindlichkeiten aufnimmt, hat dadurch derzeit kein Vermögen geschaffen. Vermögen wird es erst, wenn er mit der Abzahlung weiter gekommen ist. Bis dahin hat er lediglich, wirtschaftlich betrachtet, eine sog. Bilanzverlängerung vorgenommen (Aktiva mehr, dafür aber auch Passiva mehr). An seinem wirtschaftlichen Verhältnissen hat sich überhaupt nichts geändert, er hat lediglich bewiesen, dass eine Bank ih. für kreditwürdig gehalten hat.

    Beispiel: Ich habe 0 Euro in der Tasche. Wegen meines Einkommens (nicht meines Vermögens) gewährt mir meine Bank ein Darlehen über 10.000,- Euro. Damit kaufe ich Gold. Nun ist mein Vermögen nicht größer als vorher. Erst wenn ich aus meinen laufenden Einkünften etwas von dem Darlehen zurückgeführt habe, habe ich Vermögen gebildet.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Ok, ich kapituliere.

    Sachlich halte ich das allerdings weiterhin für zweifelhaft. Wer einen aktiven Vermögensgegenstand dadurch anschafft, dass er in gleicher Höhe Verbindlichkeiten aufnimmt, hat dadurch derzeit kein Vermögen geschaffen. Vermögen wird es erst, wenn er mit der Abzahlung weiter gekommen ist. Bis dahin hat er lediglich, wirtschaftlich betrachtet, eine sog. Bilanzverlängerung vorgenommen (Aktiva mehr, dafür aber auch Passiva mehr). An seinem wirtschaftlichen Verhältnissen hat sich überhaupt nichts geändert, er hat lediglich bewiesen, dass eine Bank ih. für kreditwürdig gehalten hat.

    Beispiel: Ich habe 0 Euro in der Tasche. Wegen meines Einkommens (nicht meines Vermögens) gewährt mir meine Bank ein Darlehen über 10.000,- Euro. Damit kaufe ich Gold. Nun ist mein Vermögen nicht größer als vorher. Erst wenn ich aus meinen laufenden Einkünften etwas von dem Darlehen zurückgeführt habe, habe ich Vermögen gebildet.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH


    Sachenrechtlich sieht es beim Goldbeispiel allerdings anders aus. Ein Eigentumsvorbehalt wird hier üblicherweise nicht vereinbart, dieses steht mit dem Erwerb also voll im Vermögen des Käufers.

    Schade allerdings, dass die hier erfolgte Zitierung so eingeschränkt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, waren nach dieser Vermögen und (noch offene) Darlehenssumme doch zu saldieren, wenn das Darlehen konkret für den Erwerb des Vermögensgegenstandes (z. B. Grundstück) aufgenommen wurde.

    Im Gegensatz dazu kann der Wert eines unbelasteten (geerbten) Mietshauses nicht mit dem Autokredit für den Porsche verrechnet werden.

  • Im Gegensatz dazu kann der Wert eines unbelasteten (geerbten) Mietshauses nicht mit dem Autokredit für den Porsche verrechnet werden.

    Das wäre im Ergebnis wohl auch mehr als unbillig. :daumenrau

    "Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer die gerade ist."
    (Gotthold Ephraim Lessing)

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