Fiskuserbrecht - Rpfleger 2024, 11

  • Bestelmeyer Rpfleger 2024, 11: Verfehlte Feststellung des Fiskuserbrechts unter Übergehung nicht ermittelter Erben am Beispiel des Bundeslandes Niedersachsen

    In meiner soeben in Rpfleger 2024, 11 erschienenen 16-seitigen Abhandlung habe ich mich unter Einbringung reichhaltigen statistischen Materials mit der nachlassgerichtlichen Praxis der Feststellung des Fiskuserbrechts im Bundesland Niedersachsen und mit der Problematik der Hinterlegung von Nachlassgeldern zugunsten unbekannter Erben auseinandergesetzt.

    Die dortige Tabelle (S. 17) zur Anzahl der aus dem Bundesanzeiger ersichtlichen öffentlichen Aufforderungen niedersächsischer Nachlassgerichte konnte im Hinblick auf das Jahr 2023 manuskriptabgabebedingt nur für das Rumpfjahr bis zum 31.10.2023 erfolgen. Gleiches gilt für die Analyse dieser öffentlichen Aufforderungen nach Nachlasswerten (S. 17/18) und nach nachlassgerichtlicher Urheberschaft (S. 18).

    Die betreffenden jeweiligen Zahlen wurden bis zum 31.12.2023 fortgeschrieben. Hiernach ergibt sich, dass im Gesamtjahr 2023 insgesamt 425 öffentliche Aufforderungen niedersächsischer Nachlassgerichte erfolgten (bis zum 31.10.2023: 367). Zu beachten ist dabei, dass im Verhältnis zur Gesamtzahl der Fiskuserbschaften seit dem Jahr 2011 durchgängig nur in etwa 20 % der Fälle öffentliche Aufforderungen erfolgten, sodass das Fiskuserbrecht im Bundesland Niedersachsen in etwa 80 % der Fälle ohne vorherige öffentliche Aufforderung festgestellt wird (Tabelle S. 17). Außerdem hat die Untersuchung ergeben, dass die Fiskuserbrechtsfeststellung bei erheblich werthaltigen Nachlässen nicht selten bereits nach kurzer bis kürzester Zeit erfolgt, sodass diesen Feststellungen kaum die erforderlichen nachlassgerichtlichen Erbenermittlungsbemühungen vorausgegangen sein können (vgl. die Ausführungen in Ziffer 3 ab S. 13 samt Tabelle auf S. 16 sowie die Ausführungen in den Fn. 32, 43 bis 46).

    Die 425 öffentlichen Aufforderungen des Gesamtjahres 2023 verteilten sich nach Nachlasswerten wie folgt:

    109 Auschlagungs- und Überschuldungsfälle (25,65 %)

    133 Fälle mit fehlenden Angaben zum Nachlasswert (31,29 %)

    183 Fälle mit Angaben zum Nachlasswert (43,06 %)

    Die letztgenannten 183 Fälle mit Angaben zum Nachlasswert verteilten sich wie folgt:

    89 Fälle mit einem Aktivnachlasswert von 150 € bis 5.000 € (48,63 %)

    41 Fälle mit einem Aktivnachlasswert von 5.000 € bis 10.000 € (22,40 %)

    17 Fälle mit einem Aktivnachlasswert von 10.000 € bis 20.000 € (9,29 %)

    07 Fälle mit einem Aktivnachlasswert von 20.000 € bis 30.000 € (3,83 %)

    08 Fälle mit einem Aktivnachlasswert von 30.000 € bis 40.000 € (4,37 %)

    03 Fälle mit einem Aktivnachlasswert von 40.000 € bis 50.000 € (1,64 %)

    09 Fälle auf höhere Aktivnachlasswerte (4,92 %)

    09 Fälle mit lediglich ungefähren oder gegenständlichen Angaben zum Nachlasswert (4,92 %)

    Bei den 9 Fällen mit einem Aktivnachlasswert von mehr als 50.000 € ging es um Aktivwerte in Höhe von 65.000 €, 90.000 €, 100.000 €, 100.000 €, 131.000 €, 174.000 €, 177.000 €, 400.000 € und 420.000 €.

    Wenn man bei den Nachlässen bis zum Wert von 50.000 € die Mittelwerte der genannten jeweiligen Betragsspannen, bei den 9 Fällen mit höherem Nachlasswert jewelis die realen Werte und bei den 9 Fällen mit ungefähren Angaben jeweils einen pauschalen Betrag von 10.000 € in Ansatz bringt, so ergeben sich hieraus Gesamteinnahmen des Jahres 2023 in Höhe von 3,128 Mio. €.

    Legt man bei den Nachlässen mit einem Aktivnachlasswert bis zu 50.000 € dagegen den Höchstwert der jeweiligen Betragsspannen zugrunde, so ergeben sich (bei ansonsten unveränderter Berechnung) erhöhte Gesamteinnahmen des Jahres 2023 in Höhe von 3,622 Mio. €.

    Dem stehen für das Jahr 2022 vergleichsweise Gesamteinnahmen in Höhe von 21,52 Mio. € gegenüber, sodass die vorgenannten Einnahmen des Jahres 2023 lediglich einem Anteil von 14,54 % (bei Zugrundelegung der Mittelwerte) bzw. lediglich einem Anteil von 16,83 % (bei Zugrundelegung der Höchstwerte) der Einnahmen des Jahres 2022 entsprechen (was die Verlässlichkeit der in Ziffer 5 c und in Fn. 57 meiner Abhandlung erfolgten Hochrechnung der sich bis zum 31.10.2023 ergebenden Zahlen auf das Gesamtjahr bestätigt, weil es insoweit mit Anteilen von 13,88 % bzw. von 16,21 % nur zu geringfügigen Abweichungen kommt). Angesichts dieser Zahlen ist davon auszugehen, dass die im Vergleich zu den Zahlen des Jahres 2022 „fehlenden“ exorbitanten Werte bei den 133 Fällen mit fehlenden Angaben zum Nachlasswert und/oder bei dem Anteil von 80 % aller Fälle zu verorten sind, bei welchen von vorneherein keine öffentliche Aufforderung erfolgt.

    2 Mal editiert, zuletzt von Cromwell (31. Dezember 2023 um 10:34) aus folgendem Grund: Prozentzeichen eingefügt.

  • Die 425 öffentlichen Aufforderungen des Gesamtjahres 2023 verteilten sich auf folgende niedersächsische Nachlassgerichte:

    42 = Cuxhaven

    34 = Tostedt

    31 = Celle

    30 = Otterndorf

    29 = Stade

    19 = Gifhorn

    18 = Syke

    16 = jeweils 16 (insg. 32): Lüneburg, Stadthagen

    13 = Göttingen

    12 = Peine

    11 = Osnabrück

    09 = Nordenham

    08 = jeweils 08 (insg. 16): Braunschweig, Wolfenbüttel

    07 = jeweils 07 (insg. 35): Bremervörde, Clausthal-Zellerfeld, Hannover, Herzberg am Harz, Zeven

    06 = jeweile 06 (insg. 18): Alfeld (Leine), Goslar, Lehrte

    05 = jeweils 05 (insg. 10): Aurich, Neustadt am Rübenberge

    04 = jeweils 04 (insg. 16): Dannenberg, Geestland, Papenburg, Rinteln

    03 = jeweils 03 (insg. 18): Nordhorn, Uelzen, Wennigsen (Deister), Wilhelshaven, Winsen/Luhe, Wittmund

    02 = jeweils 02 (insg. 24) auf 12 weitere Gerichte (Aufschlüsselung siehe unten 1)

    01 = jeweils 01 (insg. 08) auf 8 weitere Gerichte (Aufschlüsselung siehe unten 2)

    Damit liegen von insgesamt 55 Nachlassgerichten öffentliche Aufforderungen vor, sodass aufgrund des Umstands, dass es in Niedersachsen 80 Nachlassgerichte gibt, von 25 Nachlassgerichten keinerlei öffentliche Aufforderungen vorliegen (siehe unten 3).

    -------------------------

    1) 12 Nachlassgerichte mit jeweils 2 öffentlichen Aufforderungen: Bad Gandersheim, Bückeburg, Buxtehude, Holzminden, Meppen, Northeim, Osterholz-Scharmbeck, Salzgitter, Soltau, Sulingen, Westerstede und Wolfsburg.

    2) 8 Nachlasgerichte mit jeweils einer einzigen öffentlichen Aufforderung: Achim, Bersenbrück, Burgdorf, Delmenhorst, Diepholz, Elze, Leer (Ostfriesland) und Verden (Aller).

    3) 25 Nachlassgerichte ohne öffentliche Aufforderungen: Bad Iburg, Brake (Unterweser), Burgwedel, Cloppenburg, Duderstadt, Einbeck, Emden, Hameln, Hann. Münden, Helmstedt, Hildesheim, Jever, Lingen (Ems), Nienburg (Weser), Norden, Oldenburg, Osterrode am Harz, Rotenburg (Wümme), Seesen, Springe, Stolzenau, Varel, Vechta, Walsrode und Wildeshausen.

    Zum Vergleich: Im Jahr 2022 lagen ebenfalls nur von 54 Nachlassgerichten öffentliche Aufforderungen vor, sodass bei 26 Nachlassgerichten überhaupt keine öffentlichen Aufforderungen zu verzeichnen waren. Dabei handelte es sich um folgende 26 Nachlassgerichte: Aurich, Bad Iburg, Bersenbrück, Burgdorf, Burgwedel, Cloppenburg, Diepholz, Einbeck, Hann. Münden, Hildesheim, Jever, Lingen (Ems), Norden, Oldenburg, Osterrode am Harz, Rinteln, Rotenburg (Wümme), Seesen, Soltau, Stolzenau, Varel, Vechta, Walsrode, Westerstede, Wildeshausen und Wittmund. Bei den unterstrichenen Nachlassgerichten handelt es sich um diejenigen 18 Gerichte, welche weder im Jahr 2022 noch im Jahr 2023 öffentliche Aufforderungen veranlasst haben.

    2 Mal editiert, zuletzt von Cromwell (31. Dezember 2023 um 10:36) aus folgendem Grund: Im letzten Absatz: Nachholung der Unterstreichung beim AG Varel, dadurch nunmehr 18 (statt bisher 17) Nachlassgerichte ohne öffentliche Aufforderungen in den Jahren 2022 und 2023

  • Bei meiner Untersuchung bin ich zu folgenden Ergebnissen gelangt (Zusammenfassung S. 26):

    a) Das gesetzliche Fiskuserbrecht ist stets nur erbrechtliche Ultima Ratio. Bei werthaltigen Nachlässen kommt eine Feststellung des Fiskuserbrechts aufgrund der verfassungsrechtlichen Erbrechtsgarantie somit nur in Betracht, wenn dieser Feststellung die nach Sachlage gebotenen nachlassgerichtlichen Erbenermittlungsbemühungen vorausgegangen sind. Bei werthaltigen Nachlässen, deren reiner Wert die voraussichtlichen Kosten der Erbenermittlung (samt den Kosten einer Nachlasspflegschaft) auch während der fortschreitenden Ermittlungszeit in nennenswerter oder erheblicher Weise übersteigt, ist die Erbenermittlung zumindest bis in die dritte Erbordnung und regelmäßig auch in fernere Erbordnungen fortzuführen, ohne dass es dabei auf die Zusammensetzung des Nachlasses oder auf die voraussichtliche Dauer der Erbenermittlung ankommt. Die Bemessung der „den Umständen entsprechenden Frist“ i. S. des § 1964 BGB wird ausschließlich von den Gegebenheiten des Einzelfalls bestimmt und kann daher nicht von nachlassgerichtlichen Zweckmäßigkeitserwägungen oder Arbeitserleichterungsintentionen beeinflusst werden. Insbesondere gibt es im Interesse der gebotenen Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Erbrechtsgarantie bei ausreichend vorhandenem Nachlass kein freies nachlassgerichtliches Ermessen, die einer etwaigen Fiskuserbrechtsfeststellung zwingend vorgeschalteten Erbenermittlungsbemühungen zu unterlassen oder frühzeitig einzustellen.

    b) Öffentliche Aufforderungen i. S. des § 1965 BGB dürfen angesichts der marginalen Kosten für eine Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger nur in ganz seltenen Ausnahmefällen unterbleiben, sodass es für die im Bundesland Niedersachsen bereits seit Jahren vorherrschende Praxis keine Rechtsgrundlage gibt, nur in etwa einem Fünftel der denkbaren Fiskuserbrechtsfälle solche öffentlichen Aufforderungen zu veranlassen. Diese öffentlichen Aufforderungen haben nicht nur die Geburts- und Sterbedaten (samt Geburts- und Sterbeort sowie letzter Anschrift) des Erblassers und ggf. seines vorverstorbenenen Ehegatten, sondern auch detaillierte Angaben über sämtliche vorgängig ermittelte Verwandtschaftsverhältnisse (samt Angabe weggefallener Personen) und möglichst exakte Angaben zum Nachlasswert sowie zum etwaigen Vorhandensein von Grundbesitz zu enthalten.

    c) Die Feststellung des gesetzlichen Fiskuserbrechts für eine vorgeblich vakante Erbquote kommt von vorneherein nicht in Betracht, wenn auch nur ein einziger von vorneherein bekannter oder ermittelter Verwandter des Erblassers als gesetzlicher Erbe vorhanden ist. In diesem Fall ist auch keine quotale Hinterlegung von Geldnachlass zulässig, weil nach der im gebotenen Umfang durchgeführten und im Hinblick auf das Auffinden weiterer Erben erfolglosen Erbenermittlung das im Erbscheinsverfahren mittels öffentlicher Aufforderung i. S. des § 352d FamFG zu betreibende Verfahren zur Nichtberücksichtigung des Erbrechts unbekannter Erbprätendenten einschlägig ist.

    d) Sind alle Erben unbekannt, wird eine Hinterlegung nicht dadurch zulässig, dass das Nachlassgericht die gebotenen Erbenermittlungsmaßnahmen von vorneherein unterlässt oder es solche Ermittlungen einstellt, ohne dass sie in dem nach Sachlage gebotenen Umfang zu Ende geführt wurden, weil das „Unbekanntbleiben“ der Erben in diesen Fällen pflichtwidrig selbstverschuldet ist und die Voraussetzungen für eine Hinterlegung demzufolge nicht vorliegen. Bleiben die im gebotenen Umfang durchgeführten Ermittlungen endgültig erfolglos, kommt eine Hinterlegung ebenfalls nicht in Betracht, weil bei dieser Sachlage ausschließlich das hierfür vorgesehene Verfahren zur Feststellung des Fiskuserbrechts einschlägig ist.

    e) Es ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die erfolgte Feststellung des Fiskuserbrechts im Bundesland Niedersachsen bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Erbfällen mit werthaltigen Nachlässen nicht vorgelegen haben und bis zu einer Änderung der bisherigen nachlassgerichtlichen Verfahrensweisen auch in Zukunft nicht vorliegen werden. Es sollte daher eine Task Force ins Leben gerufen werden, die alle seit dem 01.06.2008 im Hinblick auf nennenswert werthaltige Nachlässe erfolgte Fiskuserbrechtsfeststellungen sowie alle seit diesem Zeitpunkt auf nachlassgerichtliche Veranlassung zugunsten unbekannter Erben erfolgte Hinterlegungen einer entsprechenden Prüfung unterzieht. Ergibt diese Prüfung beanstandungswürdige nachlassgerichtliche Verfahrensweisen, hat in den betreffenden Nachlassverfahren eine nachträgliche Erbenermittlung zu erfolgen. Hierfür sind geeignete Nachlasspfleger zu bestellen, weil den Nachlassgerichten die für eine Erbenermittlung in ferneren Erbordnungen erforderlichen Mittel gemeinhin nicht zur Verfügung stehen und eine Erbenermittlung angesichts drohender Amtshaftungsansprüche nicht unter Ausschluss anderweitiger Ermittlungsmöglichkeiten ausschließlich durch denjenigen durchgeführt werden kann, der sie vorher pflichtwidrig unterlassen hat.

  • Lieber Cromwell,

    zunächst erst einmal vielen Dank und meine Anerkennung für die ebenso präzise wie inhaltlich erschreckende Arbeit bei der Zusammenstellung der Fakten!

    konnte bislang nur die Zusammenfassung grob lesen (diese war schon recht eindrucksvoll), zum Volltext komme ich erst in den nächsten Tagen, das Thema wird aber sicherlich auf der Agenda bleiben!

  • Ich gehe davon aus, dass das Studium des Volltextes und die Erläuterungen in den Fußnoten noch wesentlich "spannender" zu lesen sind als dies die Zusammenfassung vermuten lässt.

    Ein Leser meinte, das Ganze lese sich wie ein Krimi.

  • Ich habe jetzt extra einige Wochen gewartet, bis ich mich zu Worte melde. Ich wolte warten, welche Diskussion sich hier entwickelt. Das Ergebnis ist ernüchternd.

    Und ich muss euch sagen, ich bin beschämt!

    Es ist beschämend zu lesen, wie die Gerichte mit fremdem Vermögen umgehen und welche unsagbare Haltung sich da inzwischen eingeschlichen hat.

    Ich hoffe aber, dass sich vorwiegend die alle kräftig schämen, die an dem System der Fiskusmaschinerie mitgemacht haben und vielleicht noch immer mitmachen!


    Und ich muss sagen, dass es auch beschämend ist, welches Schweigen hier im Forum zu diesem Thema herrscht. Es ist nicht zu fassen...

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Beschämend ist auch das erste Wort, das mir beim Lesen des Aufsatzes durch den Kopf ging.

    Ich habe über fünf Jahre Nachlasssachen in Bremen bearbeitet und arbeite jetzt seit fast 4 Jahren in Ostsachsen. Ich arbeite jetzt am vierten AG und die Unterschiede in der Bearbeitung sind erheblich und zwar nicht nur beim Fiskuserbrecht.

    Ich kenne Kollegen, die stellen gar kein Fiskuserbrecht fest und manche sofort. Ich persönlich bin ein Freund des Fiskuserbrechts, aber natürlich nur wenn die Voraussetzungen gegeben sind und ich veranlasse immer eine öffentliche Aufforderung.

    Ich finde die Unwissenheit und die "ist-mir-doch-egal" Einstellung von Kollegen erschreckend und frage mich stets, woher das kommt. Ich persönlich hatte damals in Nachlasssachen einen wunderbaren Ausbilder, der mir stets versucht hat naehzubringen, was das Ziel in jeder Akte sein sollte. Ich glaube, genau das wird in der Theorie nicht vermittelt und Fiskuserbrecht wird in der Theorie gar nicht vermittelt. Also sind die Anwärter auf die Praxisausbilder angewiesen und wie sage ich dann gern "Ein Blinder erzählt dem anderen Blinden etwas vom Licht" und dann kommt meistens Dunkelheit heraus. Und das führt auch dazu, das falsche Arbeitsweisen über Generationen weitergegeben werden. Denn einst steht doch wohl auch fest, ein neuer Kollege, der frisch vom Studium kommt, wird doch nicht die Arbeitsweise älterer Kollegen anzweifeln...leider.

    Auch wenn die praktische Ausbildung von Anwärtern Zeit kostet, versuche ich den Anwärtern genau das gleiche Wissen und Handwerkszeug beizubringen, welches mir damals mein Ausbilder beigebracht hat. Denn eins weiß ich genau, ohne meinen Ausbilder würde ich nicht so arbeiten, wie ich heute arbeite.

  • Offensichtlich in gewisser Regelmäßigkeit, wenige Tage nach Aktenanlage, das Fiskuserbrecht festzustellen, ist in Niedersachsen wohl nicht mit „Unwissenheit“ oder „ist mir egal“ zu erklären. Es ist schlicht unfassbar.


    Und das was wir hier in der Auswertung haben, ist nur die veröffentlichte Zahl. Ich möchte nicht wissen, wie oft erst gar keine Veröffentlichung stattgefunden hat. Die Dunkelziffer mag sehr hoch sein. Denn die Nachlasspfleger aus Niedersachsen beklagen seit einigen Jahren einen gewaltigen Einbruch der angeordneten Fälle. Das erklärt manches.

    Das was hier geschehen ist, hat eine Dimension, die einen sprachlos macht und hinter der vielleicht mehr als nur „unfähige“ Bearbeiteter stecken.

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    Einmal editiert, zuletzt von TL (21. Januar 2024 um 19:50)

  • Die in den Raum gestellte Frage, in wie vielen Fällen in Niedersachsen vor der Feststellung des Fiskuserbrechts keine öffentliche Aufforderung ergangen ist, darf ich in Wiedergabe der in meinen Aufsatz eingestellten Tabelle (Rpfleger 2024, 11, 17) wie folgt beantworten:

    2008: 0485 Fiskuserbschaften - 053 öffentliche Aufforderungen = 10,93 %

    2009: 0992 Fiskuserbschaften - 128 öffentliche Aufforderungen = 12,90 %

    2010: 1025 Fiskuserbschaften - 156 öffentliche Aufforderungen = 15,22 %

    2011: 1220 Fiskuserbschaften - 266 öffentliche Aufforderungen = 21,80 %

    2012: 1357 Fiskuserbschaften - 256 öffentliche Aufforderungen = 18,87 %

    2013: 1633 Fiskuserbschaften - 282 öffentliche Aufforderungen = 17,27 %

    2014: 1661 Fiskuserbschaften - 303 öffentliche Aufforderungen = 18,24 %

    2015: 1731 Fiskuserbschaften - 397 öffentliche Aufforderungen = 22,93 %

    2016: 1740 Fiskuserbschaften - 344 öffentliche Aufforderungen = 19,77 %

    2017: 1964 Fiskuserbschaften - 381 öffentliche Aufforderungen = 19,40 %

    2018: 2010 Fiskuserbschaften - 349 öffentliche Aufforderungen = 17,36 %

    2019: 1992 Fiskuserbschaften - 360 öffentliche Aufforderungen = 18,07 %

    2020: 1824 Fiskuserbschaften - 332 öffentliche Aufforderungen = 18,20 %

    2021: 1856 Fiskuserbschaften - 412 öffentliche Aufforderungen = 22,20 %

    2022: 1594 Fiskuserbschaften - 341 öffentliche Aufforderungen = 21,39 %

    Hieraus ergibt sich, dass der Fiskuserbrechtsfestellung in Niedersachsen über all die Jahre in etwa 80 % der Fälle keine öffentliche Aufforderung vorausging. Diesen prozentualen Anteil hatte ich bereits in meinem Eingangsstatement (#1) genannt.

  • Nicht nur im Nachlass.

    Die Einstellung des einen oder anderen Kollegen (welchen Geschlechts auch immer) liest sich doch hier im Forum. Dazu kommen dann noch die, bei denen man daran zweifeln könnte, ob die angegebene Berufsbezeichnung stimmt. Klar hat jeder mal einen schlechten Tag, im Büro und auch hier bei den Fragen und Antworten. Aber die Summe machts.

    Ich sehe auch klare Defizite in der praktischen Ausbildung. Die Verantwortung, die unser Beruf mit sich bringt, scheinen manche nur beim Ruf nach der amtsangemessenen Besoldung zu verinnerlichen.

    Mal eine blöde Frage...wie soll denn Nachlassvermögen hinterlegt werden, wenn es keinen Nachlasspfleger gibt? Es kann dann doch schon niemand den Antrag stellen und der Grund fehlt auch.

    "Just 'cos you got the power, that don't mean you got the right!" ((c) by Mr. Kilmister, passt zum Job)

    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

  • 80 %!!!!!!

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  • Das NachlG kann in Ausübung der in § 1960 BGB genannten Befugnisse auch selbst die Hinterlegung - etwa im Verhältnis zu Banken - veranlassen und auf diese Weise die Bestellung eines Nachlasspflegers "umgehen". Die Banken sind mit einem Vorgehen gegen diese Verfahrensweise mangels Beschwerderecht gescheitert (OLG Hamm Rpfleger 2014, 458 = FamRZ 2015, 274 = FGPrax 2015, 47 m. Anm. Bestelmeyer = ZEV 2014, 570 LS = BeckRS 2014, 17376). Ich habe diese Frage auch in meinem eingangs genannten Aufsatz erörtert (ab S. 22 unter Ziffer 10) und die Empfehlung ausgesprochen, dass sich die Hinterlegungsstellen der Gerichte bei jedem Hinterlegungsantrag zugunsten unbekannter Erben (sei es seitens eines Nachlasspflegers, sei es seitens des NachlG) die Nachlassakte anfordert, um zu prüfen, ob denn überhaupt die materiellen Hinterlegungsvoraussetzungen vorliegen (was nicht der Fall ist, wenn keine Erbenermittlungsbemühungen entfaltet oder diese zur Unzeit frühzeitig eingestellt werden).

  • Ich finde es auch nicht nachvollziehbar, dass z.B. ein bestellter Nachlasspfleger zwar ein Beschwerderecht gegen seine Abberufung, nicht aber gegen die Aufhebung der Pflegschaft selbst haben soll. Im ersten Fall müsste er aus eigenem Interesse das Beschwerderecht haben. Im zweiten Fall als Vertreter der (unbekannten) Erben, für die er im Amt ist.

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  • Selbst wenn der Nachlasspfleger ein Beschwerderecht gegen die Aufhebung der Nachlasspflegschaft hätte, würde er es sich wohl gut überlegen, ob er eine solche Beschwerde auch einlegt - zumindest dann, wenn er auch künftig noch zum Nachlasspfleger bestellt werden möchte (hierzu vgl. die Ausführungen in Ziffer 11 auf S. 24 meines Aufsatzes).

  • Bei den Fällen, bei welchen keine öffentliche Aufforderung erfolgt, weiß man natürlich nicht, welche Vermögenswerte die einzelnen Nachlässe repräsentieren. Dies erschließt sich aber mittelbar, wenn man die Vermögenswerte zusammenrechnet, welche in den öffentlichen Aufforderungen genannt sind. Im Jahr 2023 waren das - je nach Berechnungsmethode - lediglich Nachlassaktivwerte zwischen 3,128 Mio. € und 3,622 Mio. €, während sich die Gesamteinnahmen des Jahres 2022 auf 21,52 Mio. € beliefen (siehe oben #1). Es liegt also auf der Hand, dass die exobitanten "fehlenden" Werte woanders zu suchen sind. Und hierfür kommen nur die öffentlichen Aufforderungen ohne Angabe eines Nachlasswertes (im Jahr 2023: 133 von 425 = 31,29 % der öffentlichen Aufforderungen, siehe oben #1) oder die besagten 80 % der Fälle (im Jahr 2023: 1253 von 1594 = 78,61 % aller Fiskuserbrechtsfeststellungen) in Betracht, bei welchen von vorneherein keine öffentliche Aufforderung erfolgt.

  • Das Verhalten der betreffenden Kollegen in den Nachlassgerichten ist natürlich nicht zu rechtfertigen. Zumindest in den Fällen mit unbekannten Erben, wo sich erkennbar werthaltige Gegenstände in der Erbmasse befinden (Grundstück, Sparbuch mit Guthaben etc.) ist es unabdingbar, dass vor der Feststellung des Fiskus-Erbrechts eine Nachlasspflegschaft mit den Aufgaben „Ermittlung der Erben und Sicherung des Nachlasses“ eingerichtet wird.

    Ich sehe allerdings auch die Grenzen. Da wo es in die Erben dritter oder höherer Ordnungen geht, wird es m.E. unverhältnismäßig. Urgroßneffen oder –nichten können dann allenfalls kleinere Erbanteile erwarten und müssen sich dann mit vielen -ihnen meist völlig unbekannten- Verwandten auseinandersetzen. Niemand zahlt Ihnen ihren Anteil in bar aus. Da relativiert sich das Interesse am Erbe schnell.

    Dies habe ich in meiner Praxis im Grundbuchamt bei großen Erbengemeinschaften bereits mehrfach erlebt. Zumal der zuerst ermittelte Erbe dann als Gesamtschuldner alle Lasten des Grundstücks zahlen muss. Auch die Kosten der Erbenermittlung sind nicht zu unterschätzen. Ein professioneller Ermittler arbeitet nicht umsonst. Falls jahrelang umfangreich ermittelt wird, fressen die Kosten der Ermittlung und das Honorar des Nachlasspflegers die Erbmasse auf.

    Daher halte ich es für verhältnismäßig, dass nach einem angemessenen Zeitraum (etwa ein Jahr?) die Nachlasspflegschaft beendet und das Fiskus-Erbrecht festgestellt wird, falls sich bis dahin keine Person findet, die Erbschaft annehmen will.

    Zu der im Aufsatz vorgeschlagenen Task-Force: wer hätte ein Interesse daran und wo sollte diese angesiedelt sein? Bei der bisherigen Praxis profitiert das Land von den Einnahmen und die zuständigen Rechtspfleger ersparen sich die Einrichtung und Überwachung der Nachlasspflegschaften. Ich sehe daher nur geringe Erfolgschancen für diese Idee.

    Niemand ist unersetzbar. Die Friedhöfe liegen voll von Leuten, die sich für unersetzbar hielten (H.-J. Watzke). :cool:

  • Es gibt nicht nur Großfamilien. Es gibt nicht nur Familien, wo sich Verwandte nicht kennen. Es gibt nicht nur verstrittene Verwandte.

    Welchen Aufwand die Erbenermittlung darstellt und was diese kostet, lässt sich vorher nicht bestimmen.

    "Just 'cos you got the power, that don't mean you got the right!" ((c) by Mr. Kilmister, passt zum Job)

    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

  • Das angesprochene Problem, dass sich in der dritten oder ferneren Erbordnungen ergebende Erbteile ggf. wenig werthaltig sind, halte ich für ein Scheinproblem. Auch in der ersten Erbordnung stört sich niemand daran, zugunsten von Ehegatten und vier Kindern einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge zu erteilen, selbst wenn an Nachlass nur 5.000 € Bankguthaben vorhanden sind. Im Übrigen ist gar nicht ausgemacht, dass es zu einer geringfügigen Werthaltigkeit von Erbteilen in der dritten Erbordnung kommt, weil dies (a) von der Höhe des Nachlasses abhängt und (b) sich dies erst beurteilen lässt, wenn man weiß, wie viele Personen mit welchen Erbquoten als Erben in Betracht kommen (was wiederum voraussetzt, dass überhaupt Erbenermittlungsbemühungen stattfinden). Ab einschließlich der vierten Erbordnung kommt dann noch hinzu, dass der erbquotalen Zersplitterung des Nachlasses durch einen Wechsel vom Stammesprinzip zum Gradualprinzip vorgebeugt wird.

    Ich habe in meinem Aufsatz (Ziffer 8 auf Seite 21) zudem darauf verwiesen, dass eine Erbenermittlung in ferneren Erbordnungen (wobei bei geschwisterlosen Erblassern die Ermittlung in der dritten Erbordnung bereits die Regel ist) nur und nur solange in Betracht kommt, wie der Nachlass die Kosten der Erbenermittlung (einschließlich der Kosten einer Nachlasspflegschaft) in nennenswerter oder erheblicher Weise übersteigt und dass - solange dies der Fall ist - aufgrund der verfassungsrechtlichen Erbrechtsgarantie und des Ultima-Ratio-Charakters des gesetzlichen Fiskuserbrechts keine Einstellung der Erbenermittlung in Betracht kommt. Es ist also keineswegs "verhältnismäßig", eine Erbenermittlungsdauer von lediglich einem Jahr zu befürworten (wer legt diesen Zeitraum fest?) und sodann das Fiskuserbrecht festzustellen, falls sich bis dahin kein Erbe findet. Insoweit ist vielmehr alleine die (fortdauernde) Werthaltigkeit des Nachlasses entscheidend und solange dieser trotz der anfallenden Kosten weiterhin werthaltig ist, muss auch weiter ermittelt werden.

    Wie will man es rechtfertigen, einen Nachlass, der nach einjähriger vergeblicher Erbenermittlung noch eine Werthaltigkeit von etlichen hunderttausend Euro (oder mehr) aufweist, ohne weitere Erbenermittlung dem Fiskus zukommen zu lassen? Solange es noch erfolgversprechende Ermittlungsansätze gibt, sind diese auch auszuschöpfen, selbst wenn es Jahre dauert.

    Zur Task Force: Die diesbezügliche Idee ist nicht deshalb schlecht, nur weil ihr derjenige, der von deren Ergebnissen negativ betroffen sein könnte, vielleicht (oder wahrscheinlich) nichts abgewinnen kann. Ich hatte daher auch darauf verwiesen, dass diese Task Force nicht im Organisationsgefüge der betroffenen Landesministerien angesiedelt sein kann und dass ihr insbesondere keine (die Interessen des Fiskus vertretenden) Bezirksrevisoren angehören können. Im Übrigen hat der Freistaat Bayern im Fall Gurlitt bereits vorexerziert, dass eine solche Task Force durchaus eingerichtet werden kann. Man muss es nur wollen und es bleibt abzuwarten, ob und ggf. welcher öffentliche Druck in dieser Hinsicht noch aufgebaut werden wird.

    Die Alternative wäre, nichts zu tun und die nach meinen Recherchen offenkundig rechtswidrige Fiskuserbrechtsfeststellungspraxis im Wissen um ihre Rechtswidrigkeit sehenden Auges unverändert beizubehalten.

  • Und ich muss sagen, dass es auch beschämend ist, welches Schweigen hier im Forum zu diesem Thema herrscht. Es ist nicht zu fassen...

    Ich arbeite in einer anderen Abteilung und kenne von unserem Haus nicht diese Problematik.


    Mir ist nicht klar, wie man als Rpfl ohne ernsthafte Erbenermittlungsversuche das Fiskuserbrecht feststellen kann.
    Gründe/Erklärungen fallen mir nicht ein.

    Daher bin ich einfach nur fassungs- und sprachlos, dass es dies überhaupt gibt.

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