Strafverhandlung Mittagspause

  • Liebe Forianer,

    bin Gruppenleiter an einem Strafgericht und hier greift vermehrt die Unsitte um sich, dass die Richter durchterminieren, d. h. an ihren Verhandlungstagen müssen die Protokollführen durchgehend in die Verhandlungen von 8 Uhr bis 16 Uhr plus x. Damit kratzen sie öfter an der 10Stunden-Grenze und die Protokollführer verlieren regelmäßig ihre Mittagspause.

    Organisatorisch ist es nur in Ausnahmefällen möglich, dass zusätzliche Protokollführer aufgeboten werden können, die dann ab Mittag/Nachmittag in Sitzung gehen.

    Es gab auch schon mehrfache Gespräche, in denen die Richter darum gebeten wurden, mit den Sitzungen möglichst bis 16 Uhr fertig zu sein und möglichst auch Mittagspausen einzuhalten. Die Richter geloben regelmäßig Besserung - bis zur nächsten Terminsladung... Mit Behördenleitung wurde auch schon gesprochen, aber wegen richterlicher Unabhängigkeit wurde das Thema schnell abgeräumt.

    Wegen Corona hat sich das Ganze verschärft, weil viele Richter nun einen Berg von Verfahren vor sich herschieben, weil vorher viele Termine geplatzt sind.

    Hat jemand Ideen oder Erfahrungen, wie man die Richter dazu bringen kann, mindestens 30 min. Pause zu machen?

  • Ich sage es ja nur ungern, aber aus richterlicher Sicht sehe ich das tatsächlich in erster Linie als ein Problem der Verwaltung (in Form der Gruppenleitung), den Protokolldienst zu organisieren und auf die Belastung zu achten.

    Daran (auch noch) bei der Terminierung zu denken, ist alles andere als leicht, weil Terminsabsprachen mit Verteidigern, wie du richtig beschrieben hast, schwieriger geworden sind und oftmals nur Randzeiten überhaupt noch halbwegs zeitnah gehen.

    Aus unserer Praxis aber: die "durchterminierten" Sitzungstage sind hier eher ein Problem im Einzelstrafrichterbereich. Die längeren Sitzungen beim Schöffengericht oder gar der Strafkammer werden üblicherweise vom Vorsitzenden im eigenen Interesse für eine Mittagspause unterbrochen.

    Bei den Strafrichtern stehen dann vielleicht 8-10 Sachen am Tag auf der Rolle. Da ist aber - so jedenfalls eine Erfahrung hier - oft doch eine Lücke drin, weil eine Sache verschoben wurde, und meist kommt ja mindestens ein Angeklagter ohnehin nicht, sodass tatsächlich meist irgendwo am Tag doch eine Lücke ist.

    Wir haben hier aber tatsächlich auch oft Wechsel, wo Protokollführerin A vielleicht von 09-12 bei einem Richter in der Sitzung ist, und dann von 14-16 Uhr die Sitzungen am Nachmittag bei einem anderen Richter übernimmt.

  • Und aus Sicht der Protokollführer: Aufstehen und die gesetzlich normierte Pause machen. Den Kampf müßten Richter und Verwaltung ausfechten. Die Richter haben Anspruch auf Protokollanten und die Verwaltung muß es so organisieren, daß es vorschriftenkonform abläuft. In der Praxis wird das Problem hier allerdings immer von der Verwaltung auf die Protokollanten abgeschoben, die sich nicht trauen aufzustehen. :thumbdown:

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Und aus Sicht der Protokollführer: Aufstehen und die gesetzlich normierte Pause machen. Den Kampf müßten Richter und Verwaltung ausfechten. Die Richter haben Anspruch auf Protokollanten und die Verwaltung muß es so organisieren, daß es vorschriftenkonform abläuft. In der Praxis wird das Problem hier allerdings immer von der Verwaltung auf die Protokollanten abgeschoben, die sich nicht trauen aufzustehen. :thumbdown:

    Sehe ich auch so.

    Wenn es wiederholt vorkam, dass keine Pause möglich war und Gespräche dazu unterm Strich daran nichts geändert haben, würde ich als Protokollführer in der Sitzung irgendwann dem/der Vorsitzenden sagen, dass ich nach der nächsten Verhandlung meine gesetzlich vorgeschriebene Mittagspause von mindestens 30 Minuten nehmen werde.

    Ich weiß, dass es natürlich in der Situation für die Protokollkräfte extrem schwierig ist, aber ansonsten wird sich vermutlich nie etwas ändern. Personal ist halt knapp und der Wille oder die Möglichkeit zur entsprechenden Terminsplanung ist halt nicht immer gegeben.

    Ulf

    Alle Äußerungen hier sind als rein private Meinungsäußerung zu verstehen,
    sofern es bei den Beiträgen nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet wird.

  • Die richterliche Unabhängigkeit ist keine Ausrede für alles. Auch die Richter haben das Arbeitsschutzgesetz und das Arbeitszeitgesetz zu beachten. Der Dienstherr/Arbeitgeber kann bei Missachtung auch mit Bußgeldern belegt werden.

    Das ergibt sich woraus genau? Seit wann ist der Richter Arbeitgeber und/oder Dienstherr? In der Praxis bestimmt er ja nicht einmal, wer zu ihm als Protokollführer kommt, vielmehr wird ihm das durch die Verwaltung vorgegeben.

    Richtig ist nur, dass die Frage, wer wann bei wem Protokollführer ist, keine Frage der richterlichen Unabhängigkeit ist, weil der Richter damit nämlich genau nichts zu tun hat. Er hat nur einen gegen den Dienstherren gerichteten Anspruch, dass ihm zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben ein Protokollführer gestellt wird. Der Rest ist Sache der Verwaltung.

    Mit freundlichen Grüßen

    AndreasH

    P.S. Daher halte ich den Ansatz von FED für richtig.

  • Ich habe nicht geschrieben, dass der Richter Dienstherr ist. Aber dem Dienstherr/Arbeitgeber können Bußgelder auferlegt werden, daher sollte es in seinem Interesse sein, bei den Richtern darauf hinzuwirken, dass Arbeitszeiten eingehalten werden.

    Der Ansatz von FED ist natürlich richtig, aber die meisten trauen sich das einfach nicht, möglicherweise aus Angst vor dienstrechtlichen Konsequenzen.

  • Ich formuliere jetzt mal bewusst sehr spitz:

    Auf den sog. "Entscheidern" (Richtern und Rechtspflegern) ruht die Last des Ansehens der Justiz. Wenn es dort hakt, dann wird sofort das Gemaule über eine langsame und unfähige Justiz groß, gerade in Strafsachen, wo Taten verjähren und Strafmaße sinken, wenn etwas zu lange dauert. Wäre es dann nicht Aufgabe der Verwaltung, diesen Entscheidern ihre Arbeit zu ermöglichen? Und wo Protokollführer, wie etwa im Strafrecht, noch vorgeschrieben sind, da müssen dann eben Protokollführer her, gerade wenn es um das Aufarbeiten von Rückständen geht.

    Das bedeutet dann eben,

    -) die Servicekraft, die von 08:00 bis 17:00 in der Sitzung sein soll, fängt an diesem Tag nicht um 6:30 Uhr mit der Arbeit an, sondern um 7:45 Uhr, damit sie die 10 Stunden nicht überschreitet

    -) Wechseldienst bei den Protokollführern für Mittagspausen oder Langläufer bei den Sitzungen oder ähnliches. Es ist ja meist nicht so, dass alle Mitarbeiter der Serviceeinheiten gleichzeitig beim Protokollführen sind. Da muss dann eben mal rotiert werden.

    Natürlich darf das Aufarbeiten nicht auf dem Rücken von Arbeitszeitüberschreitungen oder fehlenden Mittagspausen der Protokollführer ausgetragen werden, aber die Richter sind da die falschen Ansprechpartner. Es ist die Verwaltung, die gängig gemacht werden muss und Lösungen anbieten muss.

    Mit freundlichen Grüßen

    AndreasH

  • Natürlich darf das Aufarbeiten nicht auf dem Rücken von Arbeitszeitüberschreitungen oder fehlenden Mittagspausen der Protokollführer ausgetragen werden, aber die Richter sind da die falschen Ansprechpartner. Es ist die Verwaltung, die gängig gemacht werden muss und Lösungen anbieten muss.

    Richtig, aber die Protokollführer können sich aussuchen, an wen sie sich wenden. Natürlich können sie die Verwaltung um Klärung bitten. Sie können auch intern absprechen, wann sie sich gegenseitig ablösen.

    Es ist aber auch vollkommen in Ordnung, dem Richter zu sagen "Sie haben am [Datum] durchterminiert. Ich bin für das Protokoll eingeteilt und informiere Sie darüber, dass ich um [Uhrzeit] für [Dauer] Mittagspause machen werde, komme was wolle. Sie möchten sich vielleicht darauf einstellen".

    Dann ist es Sache des Richters, der Verwaltung zu sagen "kümmert euch um eine Vertretung für die Dauer der Mittagspause".

  • Es ist aber auch vollkommen in Ordnung, dem Richter zu sagen "Sie haben am [Datum] durchterminiert. Ich bin für das Protokoll eingeteilt und informiere Sie darüber, dass ich um [Uhrzeit] für [Dauer] Mittagspause machen werde, komme was wolle. Sie möchten sich vielleicht darauf einstellen".

    Dann ist es Sache des Richters, der Verwaltung zu sagen "kümmert euch um eine Vertretung für die Dauer der Mittagspause".

    Aus meiner Sicht auch die richtige Lösung. Denn im Kern geht es um einen Konflikt zwischen richterlicher Unabhängigkeit (Richter) und den Möglichkeiten der Personalbedarfsdeckung (Verwaltung).

    Aber ob es nur die Verwaltung ist, die "gängig gemacht" werden muss, wie AndreasH meint, bezweifle ich stark. Wenn eh schon überall Personalmangel herrscht, sind mitunter auch der Verwaltung rein faktisch die Hände gebunden.

  • Wenn alles Reden nicht hilft, ist den DirektorInnen bzw. GeschäftsleiterInnen vor dem Hintergrund des § 22 ArbZG dringend zu raten, die Protokollierenden zu gegebener Zeit aus den Verhandlungen zu holen (und - soweit möglich - adäquat zu ersetzen). Diese dadurch entstehenden Störfälle könnten eine gute Basis für zukünftige, konstruktive Lösungen sein.

  • Natürlich darf das Aufarbeiten nicht auf dem Rücken von Arbeitszeitüberschreitungen oder fehlenden Mittagspausen der Protokollführer ausgetragen werden, aber die Richter sind da die falschen Ansprechpartner. Es ist die Verwaltung, die gängig gemacht werden muss und Lösungen anbieten muss.

    Richtig, aber die Protokollführer können sich aussuchen, an wen sie sich wenden. Natürlich können sie die Verwaltung um Klärung bitten. Sie können auch intern absprechen, wann sie sich gegenseitig ablösen.

    Es ist aber auch vollkommen in Ordnung, dem Richter zu sagen "Sie haben am [Datum] durchterminiert. Ich bin für das Protokoll eingeteilt und informiere Sie darüber, dass ich um [Uhrzeit] für [Dauer] Mittagspause machen werde, komme was wolle. Sie möchten sich vielleicht darauf einstellen".

    Dann ist es Sache des Richters, der Verwaltung zu sagen "kümmert euch um eine Vertretung für die Dauer der Mittagspause".

    Dem kann ich mich anschließen. Mich als Zivilrichter betrifft das kaum (alle Einzelrichtersachen werden bei uns mit Diktaphon gemacht, nur in Kammersachen habe ich eine Protokollführerin, das sind nicht so viele), aber als Strafrichter würde ich den Ball nach einer solchen Ansprache eben an die Verwaltung zurückspielen.

    Ich möchte aber noch den Bogen zurück zum Threadstarter schlagen: Welche der nun genannten Lösungen man auch ergreift, es geht nicht darum, irgendeine Unsitte der Richter abzustellen.

    Mit freundlichen Grüßen

    AndreasH

  • naja, die Unsitte besteht halt in erster Linie darin, die Angelegenheit eben nicht an die Verwaltung zu spielen:

    liebe Verwaltung ich muss/will/werde am XXX durchterminieren, mein Protokollführer wird/muss/will Mittagspause machen, eine Vertretung ist zwingend notwendig.

    Es läuft ja so: Ich terminiere durch, der Rest ist mir egal und die Protokollführer werden (und sei es durch die bestehenden Konventionen der Über- und Unterordnung) dazu genötigt, gefälligst das Maul zu halten und den Termin durchzuziehen.

    Ich kaufe ein "I" und möchte lösen! -BOCKWURST-


    Wenn ich sterbe, sollen meine Überreste in Disneyland verstreut werden.
    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Bei uns hat das (siehe oben) übrigens zur Folge dass sich alle Rechtspfleger mit Händen und Füßen wehren, Gruppenleiter in der Strafabteilung zu machen. Ab Sommer wird das wohl akut , da man dem derzeitigen versprochen hat , ihn abzulösen. Die Angesprochenen kümmern sich schon um einen Anwalt, überspitzt gesagt. Man darf gespannt sein.

    Alles Gute im Leben ist entweder illegal, unmoralisch oder macht dick. (Murphys Gesetz)

  • Welche der nun genannten Lösungen man auch ergreift, es geht nicht darum, irgendeine Unsitte der Richter abzustellen.

    Mit freundlichen Grüßen

    AndreasH

    die Richter machen es sich in vielen Fällen doch recht einfach ohne Rücksichtnahme zu terminieren

    Auch als Richter muss man sich an örtliche Gegebenheiten halten, sollte also einen freien Saal haben, wenn ein Termin angesetzt wird oder verfügbare wachtmeister bei sicherheitsrelevanten Terminen. In die gleiche Kategorie gehört der Protokollführer.

    Ich kann doch auch als Richter nicht einen schon belegten Saal einfach noch mal belegen und der Verwaltung sagen, jetzt kümmere dich mal. Genauso wenig kann ich eine schon verplante/nicht vorhandene Protokollführerin einfach als vorhanden voraussetzen. In beiden Fällen sind Ressourcen nur endlich vorhanden.

    Auch eine Verwaltung kann nicht zaubern

  • Eine doppelte Belegung des Sitzungssaales bewegt sich doch auf etwas anderer Ebene als an seinem Sitzungstag zu terminieren und einen Protokollführer als gegeben vorauszusetzen. Als gegeben setze ich den Voraus, weil mein Dienstherr meine Sachen erledigt haben will und ich für die Dauer der Fälle ja auch Rechenschaft ablegen muss.

    Nach meiner Erfahrung aus der Strafrechtszeit gäbe es meist genügend Mitarbeiter in den Serviceeinheiten, um den "Standardprotokollführern" durch Tausch die Mittagspause zu ermöglichen. Bei gut als Team funktionierenden Einheiten habe ich das oft genug erlebt, dass das auch klappt. Nur gibt es in manchen Teams auch Befindlichkeiten, das nicht zu tun, weil manche/r nicht Protokollführen will (doch, ich kenne solche Aussagen). Ist wohl die etwas niederrangige Tätigkeit.

    Das Terminieren ist als Geschäft wegen der vielen erforderlichen Abstimmungen gerade im Strafrecht schon mühsam genug. Da darf es dann nicht daran scheitern, dass der Protokollführer schon um 16:00 Uhr seine 10 Stunden voll hat, weil er so früh zum Dienst erschienen ist. Das ist Ressourcenverschwendung, denn vor 08:00 Uhr wird die Arbeitskraft als Protokollführer nicht benötigt. Und eine ergänzende Tätigkeit als Schreibkraft oder Registerführer ist nachrangig zur erforderlichen Präsenzzeit als Protokollführer.

    Im Übrigen erwarte ich, dass ein Gespräch mit der Verwaltung ausreicht, um den Bedarf dauerhaft zu signalisieren. Wodurch Protokollführer dann genötigt werden oder sich nötigen lassen, wird dann zu meinem Problem, wenn ich ein Mitspracherecht bei der Auswahl und Tätigkeit der Protokollführer habe, also Mitverantwortung für den konkreten Menschen übernehme. Gerade eine solche Mitsprache wird von der Verwaltung regelmäßig abgelehnt. Das sei Verwaltungssache. Dann ist die Frage, wer wo wann aber auch nicht mein Problem.

    Und ja, es gibt Fälle absoluten Personalmangels, in denen auch die beste Verwaltung nichts mehr machen kann. Das kann plötzlich auftreten (z.B. Ausfall wegen Krankheit) oder etwas längerfristig angelegt sein (z.B. offene Stelle kann nicht besetzt werden). Die beste Verwaltung gibt beim längerfristigen Ausfall aber auch mal eigene Ressourcen frei (sonst ist sie nicht die "beste Verwaltung"), d.h. dass das sich selbst so bezeichnende "Vorstandsbüro" (= reales Geschehen, war das Vorzimmer eines Abteilungsleiters eines weiteren aufsichtsführenden Richters am AG, die hatten sich sogar einen eigenen Briefkopf dafür gebastelt, den sie auch innerdienstlich verwendet haben) auch mit anpackt.

    Und es gibt durchaus echte richterliche Unsitten, etwa den Kollegen, der Mittags durchterminiert, damit er am frühen Nachmittag (14:00 Uhr) seinen Sitzungstag abschließen kann. Für so ein Verhalten ist kein Verständnis erforderlich. Aber das war nicht der hier eingangs angesprochene Fall, der betraf nämlich den hart arbeitenden Richter, der nur versucht hat, durchzukommen, auf Kosten auch des eigenen Mittagessens.

    Mit freundlichen Grüßen

    AndreasH

    Einmal editiert, zuletzt von AndreasH (10. Januar 2023 um 22:29) aus folgendem Grund: Ergänzungen

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!