Nach dem Examen raus aus der Justiz

  • Guten Tag,

    ich schreibe dieses Jahr mein Examen (NRW) und bin im Laufe der Praxisphase von dem Berufsbild "Rechtspfleger" mehr als enttäuscht worden. Was ich erlebt habe waren frustrierte, mies gelaunte, überarbeitete Rechtspfleger, die mir zum Großteil geraten haben die Beine in die Hand zu nehmen, bevor es zu spät ist. Ich habe mich auf keiner Abteilung in irgendeiner Weise wohl gefühlt. Die Praxisphase war einfach nur schrecklich.

    Eigentlich möchte ich mir nach dem Examen vorerst ein eigenes Bild machen, aber ich wüsste gerne, ob es Möglichkeiten gibt die Justiz zu verlassen, ohne die Anwärterbezüge zurückzahlen zu müssen. Mein aktueller Wissensstand ist, dass man alles zurückzahlen muss, wenn man nicht mindestens 5 Jahre als Rpfl. gearbeitet hat. Stimmt das? Welche Anlaufstellen gibt es für Rpfl. nach dem Examen, wenn sie nicht als Rpfl. arbeiten möchten? Kann man sich da irgendwo erkundigen? Ich sollte das wohl besser nicht bei meinem OLG erfragen ^^

    Über eine Antwort wäre ich sehr dankbar!

    LG Claire

  • Nein, Öffentlicher Dienst reicht, es muss keine Rechtspflegerstelle sein.

    Wenn Du nur dringend raus willst, reicht es auch erst mal Parkscheine für das Ordnungsamt zu kontrollieren. Sonst sind Kommunen die besten Anlaufstellen, die haben quasi spiegelbildlich die Verwaltung für Betreuung, Jugendamt Liegenschaften etc...Personalbedarf dürfte regional recht unterschiedlich sein, aber die Chancen was zu finden sind in den letzten Jahren sicher gewachsen.

    Spätestens wenn ein möglicher Arbeitgeber Deine Personalakte sehen will, wird bei Deinem OLG ein Glöckchen läuten...

    Viel Erfolg fürs Examen!

  • Das Land bezahlt deine Ausbildung, investiert also in dich, insbesondere in eine gemeinsame Zukunft. Warum sollte das Land da auf Geld verzichten, wenn du die gemeinsame Zukunft sausen lässt?

    Es gibt aber natürlich Unterschiede, wohin du gehst. Bleibst du dem Land als soches erhalten und verlässt nur die Justiz, ist das bestimmt was anderes, als wenn du zur Bank gehst. Ob es auch Abstufungen gibt, wenn du zwar das Land verlässt, aber trotzdem im öD bleibst (Kommune, Bund)...finds raus.

    Zudem gibt es auch genügend Fälle, in den dein zukünftiger Arbeitgeber die Ablöse zahlt. Natürlich ebenfalls als Investition in eine gemeinsame Zukunft. Wenn du da nach 3 Monaten wieder kündigst...the same procedure...

    "Just 'cos you got the power, that don't mean you got the right!" ((c) by Mr. Kilmister, passt zum Job)

    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

  • Nach einer Anlaufstelle wirst du vergeblich suchen, weil dein Land naturgemäß ein Interesse haben wird, dass du das tust, wofür du dich eigentlich entschieden hattest. Wir lassen mal außen vor, dass die Interessen nicht dieselben sein dürften, die du für deine Berufswahl im Blick hast. Möglichkeiten bei Bundes- oder Landesbehörden gibt es durchaus, aber mach dich drauf gefasst, dass dir solche Stellen keiner hinterherträgt und keiner Blumen auf deinen Weg streut, wenn du den öD verlassen willst.

    Bevor du hinwirfst und ohne dass ich deinem Post entnehmen könnte, welches Unwohlsein und welche Schrecklichkeiten dich während der Praxis konkret ereilt haben: Probier, ob es dir nicht doch gefällt, ob du nicht bei einem Gericht landest, bei dem die Kollegen gut gelaunt sind, auch wenn es manchmal nur noch mit In-die-Tischkante-Beißen geht.

    Nach mehreren Jahrzehnten im Dienst und Gerichten in mehreren Bundesländern hängt erfahrungsgemäß viel von der Behörde ab, in der man sich tummelt. Es wird dir zwar immer mehr Arbeit abverlangt wird, Gesetze werden mehr und wirrer, das Publikum schnauzt dich an, tunlichst lasse höchste Sorgfalt walten, stetig schreit jemand nach Amtshaftung, male ausgefeilte Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen, denen du ansiehst, dass sie nichts mit der Realität zu tun haben, arbeite abgesoffene Dezernate auf (ja, frag mal warum die abgesoffen sind), hast immer weniger Zeit für all das, vom beruflichen Fortkommen oder so was wie Wertschätzung wollen wir gar nicht erst reden. Und nebenher sollst du einen Anwärter pädagogisch-didaktisch wertvoll ausbilden. Da bleibt die gute Laune verständlicherweise auf der Strecke. Aber mit der Tatsache, dass man Entscheidungen treffen kann und mit gemeinschaftlich gepflegtem Galgenhumor unter Kollegen lässt sich das ziemlich lange und gut durchhalten.

    Ich hab es wirklich versucht! Aber es geht einfach nicht komplizierter...

  • Hi, also ich kann nur so viel sagen: das selbstständig arbeiten nach einem Abschluss (egal ob Ausbildung oder Studium) ist meistens anders, als das Azubi / Anwärter - Dasein. Wenn dich die Thematik nicht abschreckt, probier es doch einfach an einem anderen Gericht aus, ob dir die Praxis vielleicht fernab vom Studium zusagt.

    Ansonsten: schau dich - falls gewünscht - allgemein im ÖD um. Polizei, Stadt, Landratsamt usw. haben alle normal nen großen Bedarf!

    Kenne einige die in meinem Jahrgang gewechselt sind (zu einer Bundesbehörde, zur Stadt, Bundeslandswechsel usw). Ich bin selbst auch direkt nach dem Studium in ein anderes Bundesland.

    Wenn du ganz etwas anderes / neues machen willst, frag dich ob die Rückzahlung schlimmer ist oder ein Leben lang ein Beruf, der dich unglücklich macht.

  • In NRW gab es eine kleine Anfrage.

    Ich verlink das mal, da sind ein paar Anregungen drin:

    https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-4340.pdf

  • Danke für's Verlinken, Störti!

    Hab's direkt mal der Person geschickt, die in der Anfrage als "2019 zum Landschaftsverband gegangen" gelistet ist: Wir kennen uns zufällig. Hat nach sechs Jahren Zivilgerichtsbarkeit ein hauptteilmäßiges Verwaltungspensum mit A9 verlassen. Wurde beim LVR ziemlich rasch A10 und bekam letztes Jahr dann die Beförderung auf A11. Soweit ich weiß, gingen dem Weggang aus der Justiz diverse wohnortferne Abordnungen voran, ohne Aussicht auf ein Ende.

    Hat ihren Partner übrigens um den eigenen Wechsel rum vom Eintritt in den NRW-Landesjustizdienst überzeugt, der ist dann von der freien Wirtschaft in die Beamtenlaufbahn gewechselt.

    Die "Blitzkarriere" beim LVR soll jetzt nicht als Aufruf zum Verlassen der Justiz verstanden werden, meiner persönlichen Erfahrung nach können auch die Landesjustizen ähnlich schnell mit Beförderungen sein (wenn sie denn wollen :) ).

    "Multiple exclamation marks", he went on, shaking his head, "are a sure sign of a diseased mind." (Sir Terry Pratchett, "Eric")

    4 Mal editiert, zuletzt von Schneewittchen (2. Juni 2023 um 18:09) aus folgendem Grund: Kursivtext korrigiert. Wurde von d. betroffenen Person tunlichst darauf hingewiesen, dass sie nicht mit dem LBV NRW in Verbindung gebracht werden möchte... und außerdem die Antwort auf die Anfrage fehlerhaft ist: Sie ist 2020 zum LVR gegangen, nicht 2019.

  • Danke für's Verlinken, Störti!

    Hab's direkt mal der Person geschickt, die in der Anfrage als "2019 zum Landschaftsverband gegangen" gelistet ist: Wir kennen uns zufällig. Hat nach sechs Jahren Zivilgerichtsbarkeit ein hauptteilmäßiges Verwaltungspensum mit A9 verlassen. Wurde beim LVR ziemlich rasch A10 und bekam letztes Jahr dann die Beförderung auf A11. Soweit ich weiß, gingen dem Weggang aus der Justiz diverse wohnortferne Abordnungen voran, ohne Aussicht auf ein Ende.

    Hat ihren Partner übrigens um den eigenen Wechsel rum vom Eintritt in den NRW-Landesjustizdienst überzeugt, der ist dann von der freien Wirtschaft in die Beamtenlaufbahn gewechselt.

    Die "Blitzkarriere" beim LVR soll jetzt nicht als Aufruf zum Verlassen der Justiz verstanden werden, meiner persönlichen Erfahrung nach können auch die Landesjustizen ähnlich schnell mit Beförderungen sein (wenn sie denn wollen :) ).

    Nach 6 Jahren immer noch A9? =O =O =O Na da braucht die Justiz sich auch nicht wundern, wenn die Leute die Justiz verlassen.

    Sehr interessante Anfrage übrigens, ich kenne auch ein paar Leute, die jetzt woanders im öD sind und die sind auch alle ruck-zuck befördert worden. In den meisten Fällen sind es ja Leute relativ "frisch" noch von der Prüfung (also meist max. 5 Jahre) - in die wurde Geld von der Justiz investiert und dann sind sie weg und die Justiz guckt in die Röhre. Da hilft auch die neuste Kampagne zur Nachwuchsgewinnung nix - Nachwuchs muss man nicht nur gewinnen sondern auch halten.

  • @Threadstarterin:

    Ich möchte mich zu deinem Anliegen Rumis Post #4, letzter Absatz, anschließen. An meinen Ausbildungsbehörden bin ich in der Praxiszeit in diversen Abteilungen mit "Tachchen, setzen - Pensum abgesoffen, habe de facto keine Zeit für Sie!" begrüßt worden, mal mit einem entschuldigenden Lächeln, mal, sagen wir... ruppiger.

    Das war in meinem Fall vor über 10 Jahren. Du gehörst obendrein noch zu einem der arg gebeutelten Pandemiejahrgänge - die Stimmung in den Abteilungen dürfte daher extra schlecht gewesen sein. Dafür kannst du nichts und die damit verbundene Missstimmung abgekriegt zu haben ist dir gegenüber unfair. Wie Rumi allerdings sagt: Nimm die gezogene Fleppe deiner Ausbildenden nicht als tatsächliches Stimmungsbarometer. Meine Ausbilder haben z. B. auch über die Mehrbelastung/Unterbesetzung gemeckert, aber trotzdem oft noch Zeit gefunden für eine Kaffeepause, zu der auch wir "leidigen" Azubis immer herzlich eingeladen waren.

    Und nicht vergessen: Es gibt nicht nur die ordentlichen. Wir kleinen, unordentlichen sind auch noch da - vielleicht wirst du auch bei den Fachgerichten glücklich...? :bighi:

    Nach 6 Jahren immer noch A9? =O =O =O Na da braucht die Justiz sich auch nicht wundern, wenn die Leute die Justiz verlassen.

    Sehr interessante Anfrage übrigens, ich kenne auch ein paar Leute, die jetzt woanders im öD sind und die sind auch alle ruck-zuck befördert worden. In den meisten Fällen sind es ja Leute relativ "frisch" noch von der Prüfung (also meist max. 5 Jahre) - in die wurde Geld von der Justiz investiert und dann sind sie weg und die Justiz guckt in die Röhre. Da hilft auch die neuste Kampagne zur Nachwuchsgewinnung nix - Nachwuchs muss man nicht nur gewinnen sondern auch halten.

    Ich kann über die jetzt-A11 von Landschaftsverband fünf Abgänge aus der Kleinen Anfrage zuordnen. Das waren wohl zwei A9er (beide 5-6 Jahre dabei), zwei A10er (müssten 7 Jahre und... mehr als 7 Jahre Justizdienst gewesen sein) und ein A11er (keine Ahnung, 10-15 Jahre auf jeden Fall).

    Der Fairness halber muss man aber auch sagen, dass sich seit der Pandemie ja zumindest das mit dem Homeoffice bundesweit bewegt hat. Wer aus der Anfrage also nur den Abwanderungsgrund "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" hatte, wäre zu den jetzigen Bedingungen vielleicht nicht gegangen. Da kann ich als Hessin aber nur spekulieren.

    "Multiple exclamation marks", he went on, shaking his head, "are a sure sign of a diseased mind." (Sir Terry Pratchett, "Eric")

  • Vielleicht kommt für dich eine Dozententätigkeit in der FH in Frage?

    Ansonsten kannst du dich bei der Stadt/Polizei usw. bewerben die nehmen gerne Rechtspfleger/innen.

    Sonst kannst du sogar nach dem Rechtspflegerstudium Jura studieren, wenn du möchtest. Da gibt es sogar ein Förderprogramm.

    Also ich muss sagen egal welcher Beruf es macht dann Spaß, wenn man coole Kollegen hat mit denen man gerne arbeitet. Vielleicht hast du nur Unglück gehabt? Ich war jetzt an mehreren Gerichten und kann sagen, dass es echt oft an den Kollegen liegt und bei richtigen Kollegen alles Spaß macht.

  • @Themenstarterin/Claire:

    Viel ist ja schon gesagt worden, was die allgemeinen Anlaufstellen angeht, aber auch insbesondere, was mögliche Gründe und Perspektiven "hier" angeht.

    Ich kann sagen, was du an Erfahrungen schilderst, hab ich alles schon mitbekommen. Manches am eigenen Leib und manches "nur" über Dritte.

    Es gab Abteilungen und Ausbilder, da wäre die Bezeichnung "jenseits von gut und böse" noch sehr wohlwollend.

    Ich wusste aber, dass sich das mit der Berufsergreifung oft ändert. Als vollwertiger Kollege wird man (leider) oft anders behandelt.

    Das hat bei mir zu folgender Schlussfolgerung geführt:

    durchbeißen, ankommen, BESSER MACHEN.

    Bin mittlerweile seit fast 10 Jahren an der gleichen Dienststelle und eigentlich seit Beginn respektierter Kollege, wie jeder andere auch.

    Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen LIEBE ich die Anwärterausbildung. Die Zeit nehme ich mir, WEIL ICH ES WILL.

    Die Reaktionen meiner Anwärter sprechen Bände und haben mich zuletzt häufiger sehr berührt.

    Ich sage denen auch, WARUM ich das so mache und forme sie mir ein bisschen (Achtung, es wird Ausbilder geben, wo es anders läuft etc.)

    Deswegen, mein Tip, warte ruhig etwas. Zurückzahlen dürfte wie gesagt kein Thema sein, unsere Ausbildung ist hervorragend und wir sind durchaus begehrt, bestimmt auch noch in 2-3 Jahren. Guck, ob sich deine Perspektive ändert. Der Beruf hat durchaus seine Vorzüge und ich bin mir auch relativ sicher, dass sich da was tun wird.

    Wenn du Fragen hast, kannst du mir auch gerne eine PN schreiben!

    "Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der uns auf unserer Reise begleitet und uns daran erinnert jeden Moment zu genießen, denn er wird nicht wiederkommen."

    Hier geht Ihre Spende nicht unter. Rette mit, wer kann.

    -Die Seenotretter, DGzRS-

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