Erbschein ohne Antrag und Sinn / Justiz am Abgrund

  • OLG Celle (6. Zivilsenat), Beschluss vom 19.06.2023 – 6 W 65/23

    Amtlicher (!) Leitsatz:

    Dem Senat drängt sich seit Jahren zunehmend der Eindruck auf, dass die vom Land Niedersachsen genutzte Möglichkeit der weitestmöglichen Übertragung von Nachlassangelegenheiten auf den Rechtspfleger (§§ 16, 19 RPflG) dazu geführt hat, dass insbesondere bei den kleineren Amtsgerichten nur noch wenige, dann aber häufig schwierige Nachlasssachen von Richtern zu bearbeiten sind, was zwischenzeitlich auch dazu geführt hat, dass in Abweichung von der früher verbreiteten Praxis immer seltener Amtsgerichtsdirektoren die Nachlasssachen be- arbeiten, sondern, wie hier, aufeinander folgend Richter auf Probe, denen es jedenfalls im konkreten Fall an Grundkenntnissen des materiellen Erbrechts und des Verfahrensrechts ebenso zu fehlen scheint wie an der Bereitschaft, sich diese Kenntnisse zu verschaffen, was zu Entscheidungen führt, die das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung zu beschädigen geeignet sind (konkret: Erteilung – nicht beantragter – richterlicher Erbscheine, hier u. a. mit dem Inhalt: Die Beteiligte zu 1 „hat den gesamten Nachlass des Erblassers beerbt, mit Ausnahme des Anteils des Erblassers des Grundbesitzes sowie der Guthabenbeträge auf der Bank.“. Der Beteiligte zu 2 „beerbt den Erblasser bezüglich dessen Guthabenbeträge auf der Bank sowie seines Anteils an dem Grundbesitz“.)


    Ohne Worte…wobei: Das OLG Celle sollte beim Steinewerfen bitte vorsichtig sein, denn wer im Glashaus sitzt…

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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  • Erbrecht ist seit jeher im Studium der Rechtswissenschaften eher nur Randgebiet.

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  • Was ein Sachverhalt.. 😱

    Warum sich „dem Senat seit Jahren ein Eindruck aufdrängt“, ist angesichts manch anderer Entscheudungen des OLG Celle schon verwunderlich… daher wie TL

  • Dazu gibt's schon etwas im "Sachen zum Lachen" Thread.

    Wobei das OLG bei der Rechtspflegerschelte geflissentlich übersieht, dass das alles nur deshalb hochgekocht ist, weil der erste Erbschein an das GBA (gleiches AG!) geschickt wurde und von dort mit der Bitte um Einziehung wieder zurückgekommen ist -"Die im Erbschein festgelegte Erbfolge ist unrichtig und muss korrigiert werden, da die so festgesetzte Erbfolge nicht mit dem deutschen Erbrecht vereinbar ist."

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Es ist keine Rechtspflegerschelte. Im Gegenteil.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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    Einmal editiert, zuletzt von TL (1. Juli 2023 um 22:43)

  • deshalb hochgekocht ist, weil der erste Erbschein an das GBA (gleiches AG!) geschickt wurde und von dort mit der Bitte um Einziehung wieder zurückgekommen ist -"Die im Erbschein festgelegte Erbfolge ist unrichtig und muss korrigiert werden, da die so festgesetzte Erbfolge nicht mit dem deutschen Erbrecht vereinbar ist.

    Was ja auch schon tief blicken lässt. Normalerweise würde sowas am gleichen Amtsgericht doch auf dem kurzen Dienstweg geklärt werden. Also entweder das Grundbuchamt hat es so versucht, ist aber auf Granit gestoßen oder es wurde nicht versucht, was auf den ersten Blick - zumal bei dieser scharf formulierten Vorlage - unkollegial erscheint. Insgesamt nicht die beste Werbung für das Gericht.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • - zumal bei dieser scharf formulierten Vorlage -

    Aus welcher Stelle der Gründe entnimmst Du eine "scharf formulierte" Vorlage? Ich entnehme dort seitens des Grundbuchamtes nur eine "Bitte um Einziehung des Erbscheins".

  • - zumal bei dieser scharf formulierten Vorlage -

    Aus welcher Stelle der Gründe entnimmst Du eine "scharf formulierte" Vorlage? Ich entnehme dort seitens des Grundbuchamtes nur eine "Bitte um Einziehung des Erbscheins".

    Ich finde schon, dass der Grundbuchkollege dem Nachlassgericht den Erbschein ziemlich „um die Ohren gehauen“ hat. „Nicht mit dem deutschen Erbrecht vereinbar“ ist eine ziemlich deutliche Ansage.

    Versteh mich nicht falsch: das Ding war Müll, darüber gibt es keine Diskussion. Dennoch hätte ich das so unter Kollegen nicht in der Akte verschriftlicht - es sei denn, man hätte mir Anlass dazu gegeben.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Ich finde schon, dass der Grundbuchkollege dem Nachlassgericht den Erbschein ziemlich „um die Ohren gehauen“ hat. „Nicht mit dem deutschen Erbrecht vereinbar“ ist eine ziemlich deutliche Ansage.

    Laut den Gründen hat das die Nachlassrichterin im Einziehungsbeschluss geschrieben.

  • Es ist keine Rechtspflegerschelte. Im Gegenteil.

    Nicht im konkreten Fall, aber das OLG hält die Aufgabenübertragung an Rechtspfleger für die Ursache der mangelnden Kenntnisse der Richter.

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  • Die mangelnden Rechtskenntnisse der (jungen) Richter (auf Probe) sind nichts Neues. Diese kamen im Nachlassbereich nur deswegen nicht zum Tragen, weil die Aufgaben des Nachlassrichters traditionell von Richtern mit langjähriger Erfahrung (auch in Bayern übrigens bei kleineren Gerichten oft seitens der Amtsgerichtsdirektoren) wahrgenommen wurden. Da die Zahl der Fälle mit Richterzuständigkeit durch die vielfältigen Aufgabenübetragungen auf den Rechspfleger erheblich abgenommen haben dürfte, hat man wohl gemeint, diese "kleineren Restzuständigkeiten" mittels Geschäftsverteilung anders zuteilen zu können. Das war offenkundig ein Fehler und insoweit ist dem OLG Celle daher auch zuzustimmen, auch wenn TL zutreffend hervorhebt, dass sich gerade das OLG Celle mit seiner erbrechtlichen Rechtsprechung nicht mit Ruhm bekleckert, weil man dort nie weiß, welche Entscheidungen man zu erwarten hat. Manchen Entscheidungen kann man ohne weiteres zustimmen (etwa zur Erbenermittlungspflicht vor Feststellung des Fiskuserbrechts) und dann gibt es wieder Entscheidungen, die dermaßen desaströs falsch sind, dass man darüber nur den Kopf schütteln kann (siehe etwa meine neueste Entscheidungsanmerkung in FGPrax 2023, 125 zur Entscheidung (S. 124) im Hinblick auf die angebliche Deckelung des Nettostundensatzes im Nachlasspflegschaftsbereich auf das Doppelte der Sätze des § 3 VBVG).

    Nach meiner Ansicht ist die Einschätzung von TL, wonach die Justiz (und zwar nicht nur im Richterbereich) immer mehr auf den Abgrund des rechtlichen Dilettantismus zuwandert, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Wenn man zu allen Entscheidungen, die man für falsch hält, eine Anmerkung schreiben wollte, würden 24 Stunden am Tag dafür nicht ausreichen. Und dabei sind die desaströsen erstinstanzlichen Fehlentscheidungen, die im Beschwerdeweg kassiert werden, noch gar nicht mitgerechnet. Dass das Ganze mitunter auch vor "höheren Gefilden" nicht Halt macht, zeigt etwa die Entscheidung des BGH zur Ausschlagungsbefugnis eines Nachlasspflegers im Hinblick auf einen "Nachlass im Nachlass".

    Auch wenn das Schnee von gestern ist: Aber unter der vormaligen Zuständigkeit des seinerzeit ohne Sinn und Verstand aufgelösten BayObLG wäre derlei undenkbar gewesen.

  • Laut den Gründen hat das die Nachlassrichterin im Einziehungsbeschluss geschrieben.

    Ah ok, danke. Muss ich mir mal alles in Ruhe anschauen, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Nach dem Sachverhalt gab es scheinbar einen Richterwechsel, da dort erst Nachlassrichterin und dann Nachlassrichter steht. Der zweite Richter hat dann alles richtig gemacht. Dieser Sachverhalt deckt die allgemeine Schelte des OLG Celle daher nicht. Sie hat in dem Urteil nichts zu suchen, da sie es nicht trägt. Sie hätte vielmehr anderweitig und unabhängig vom konkreten Einzelfall geäußert werden müssen.

    Die praktische Lösung besteht doch vermutlich in einem Einführungslehrgang für Nachlassrichter.

  • Nach dem Sachverhalt gab es scheinbar einen Richterwechsel, da dort erst Nachlassrichterin und dann Nachlassrichter steht. Der zweite Richter hat dann alles richtig gemacht. Dieser Sachverhalt deckt die allgemeine Schelte des OLG Celle daher nicht. Sie hat in dem Urteil nichts zu suchen, da sie es nicht trägt. Sie hätte vielmehr anderweitig und unabhängig vom konkreten Einzelfall geäußert werden müssen.

    Der zweite Richter hat gar nichts richtig gemacht, denn er hat einen Erbschein zu je 1/2 erteilt, der nicht beantragt war und für den das Testament auch nichts hergibt.

    Falls es jemanden interessiert: meiner Meinung nach wollten die Erblasser entweder ein ganz normales Berlin Testament oder eine Erbeinsetzung des Sohnes + Nießbrauch für den Überlebenden, und sind dann beim Abschreiben der Muster durcheinander gekommen. Es spricht einiges dafür, dass letzteres gewollt war, vor allem die Äußerungen der Ehefrau, aber das muss man halt ermitteln.

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Das wirklich Bemerkenswerte dieser Sache ist die unverhohlene und so sehr selten gelesene Kritik eines OLG.

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  • Die praktische Lösung besteht doch vermutlich in einem Einführungslehrgang für Nachlassrichter.

    Ein Einführungslehrgang wäre übrigens nicht nur für Nachlassrichter angebracht.

    Es ist allgemein in der Justiz so, dass Dezernatswechsler ganz allein gelassen werden. So einfach: Das hast du doch mal studiert, ist das eben nicht.

    Das Fachwissen geht von einem zum anderen einfach verloren. Bis man eine entsprechende Fortbildung erhält, dauert es ewig. Online-Schulungen, so dass auch Muttis teilnehmen können, zumindest in meinem Bundesland - Fehlanzeige. Da muss man sich doch nicht wundern, wenn es hakt.

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